Alle Jahre wieder zur Olivenernte bei Silvio in der Toskana

Ich liebe dieses Geräusch, wenn die Oliven ins Netz fallen. Das Ausstreichen der voll behangenen Äste mit dem kleinen Rechen, das Rascheln der harten silbergrauen Blätter, wenn ich entlang streife. Jeder Olivenbaum ist anders, besonders. Im Olivenhain von Silvio azienda agricola „Villa Magra“ bei Monticello Amiata stehen knorrige, alte Bäume. Dazwischen hat Silvio vor etwas zehn Jahren junge Bäumchen gepflanzt. Viele tragen das erste Mal richtig gut. Sie sind voller Oliven, als ob sie den alten zeigen wollten. Und das, obwohl es im Juni so aussah, als ob es fast keine Ernte geben würde. Monatelang kein Regen, das hatte zur Folge, dass einige Olivenbäume, die wir begutachteten, die kleinen grünen Blütchen fallen lassen mussten. Doch zum Glück hat es nicht alle betroffen oder sie haben sich erholt. Die jungen Bäume machen es uns Erntehelfern leicht, denn die meisten Früchte sind vom Boden, ganz ohne Leitern gut zu erreichen. Ein bisschen Dehnen und Strecken, in die Knie gehen, manchmal auch in der Hocke, wenn die Zweige bis auf den Boden reichen und das Netz berühren, so wird jeder Baum umkreist, bis keine Olive mehr oben ist. Die schönsten Früchte hängen bekanntlich ganz oben, an senkrecht in die Höhe gewachsenen Ästchen. Da hilft es manchmal in den Baum zu klettern oder es kommt ein motorbetriebener Erntehelfer an einer Teleskopstange zum Einsatz. Am Stangenende sitzt ein Teil aus Metallstäben, das ein bisschen wie eine Antenne aussieht. Die Stäbe vibrieren und schütteln so die Ästchen bis auch die exponierteste Olive weggeschleudert wird. Das Netz füllt sich mit grünen, bläulichen oder schwarzen Früchten des Ölbaums. Wenn wir unseren Stand verändern, müssen wir aufpassen, wo wir hintreten. Behutsam setzen wir unsere Füße auf, um die kleinen Kugeln nicht zu zerquetschen. Die erste Pressung unserer Biooliven, kalt natürlich, soll schließlich in der Ölmühle stattfinden. Sind alle Bäume und Zweige im Einzugsbereich der ausgelegten Netze abgeerntet, holen wir das Netz ein. Vorsichtig werden Spannvorrichtungen entfernt, die besonders in abschüssigem Gelände nötig sind. Dabei heben wir das Netz so an, dass keine Olive wegkullern kann. Es klingt wie Meeresrauschen, wenn tausende Oliven im Netz zusammen kullern und sich wie in einer Hängematte an der tiefsten Stelle sammeln. Wir knien uns auf den Boden uns sortieren kleine Ästchen und Blättchen aus. Dann schütten wir unsere wertvolle Ernte vorsichtig, dass nichts verloren geht, in eine luftige Plastikkiste, die wir in den Schatten stellen.

 

Alte Bäume ernten

 

Dann ziehen wir das Netz zum nächsten Baum. Es ist ein großer alter Olivenbaum mit einem mächtigen Stamm, der innen hohl ist. Seine dicken Ästen, haben Generationen kundiger Olivenbauern so beschnitten, dass sich der Baum leichter ernten lässt. In die so entstandenen Astgabeln lassen sich die langen Leitern gut anlehnen. Das ist wichtig, damit die Erntehelfer sicher auf der Leiter stehen und alles gut erreichen können. Früher waren die Leitern aus Holz, heute ist es Alu. Das erleichtert das Aufstellen enorm. Die Netze sind heute auch nicht mehr aus Jute, hier hat Plastik Einzug erhalten. Die hohen, weit verzweigten, alten Olivenbäume sind viel aufwändiger zu ernten, weil man immer wieder die Leitern umstellen muss um die nächste Partie zu erreichen. Auf der Leiter ist wieder Strecken angesagt: Mit einem Fuß auf der Sprosse, den anderen auf einem Ast, mit einer Hand am Holm festhaltend, lehne ich mich weit hinüber um einen der biegsamen Zweige heranzuziehen und die Früchte mit dem Rechen abzustreifen. Nah am knorrigen Stamm unter den herabhängenden Zweigen wie unter einem Zeltdach aus silbergrünem Laub fühle ich mich geborgen. Ich steige höher hinauf und genieße den fantastischen Ausblick über die toskanische Hügellandschaft. Das entschädigt für die Mühe, die zerkratzten Unterarme, die durch die Spitzen an den länglichen, harten Blättchen verursacht werden. Aber auch abgestorbene harte Ästchen ritzen gerne die Haut an. Es dauert bis so ein alter Baum von Hand geerntet ist. Manchmal braucht es dazu einen halben Tag und drei Erntehelfer. Dafür ist dann die Ausbeute entsprechend hoch. Es kommt einiges zusammen. Beim Einholen der Netze, wir mussten mehrere unter der großen Krone auslegen, sammeln sich die Oliven geräuschvoll im Netz. Bei dieser Menge klingt es wie eine kräftige Brandung. Wir füllen drei ganze Kisten, das sind ca. 70 Kilogramm. Wieviel Öl das gibt, bleibt spannend. Wir werden es in der Ölmühle,frantoio auf italienisch, erfahren.

 

Bio und alte Sorten

 

Am Abend fahren wir in das übernächste Dorf, das Auto hinten voll mit den Kisten der letzen drei Tage. Insgesamt sind es 15 Kisten. Jede fast zwischen 20 und 25 Kilogramm. Wir brauchen mindestens 250 Kilogramm, damit die Ölmühle eine Pressung macht. Schließlich wollen wir ja wirklich direkt unser Öl haben, das Öl aus unseren Bio-Oliven, ungespritzt und ohne Kunstdünger. Olivenbäume sind eigentlich unempfindlich. Lediglich die Olivenfliege macht den Bäumen zunehmend zu schaffen. Silvio hat sein eigenes Rezept: Er hängt alte Plastikflaschen, gefüllt mit einem Essig-Honig-Gemisch in jeden Baum. Das lockt die winzigen Insekten, ähnlich der bei uns bekannten Essigfliege an. Sie fliegen in die Flaschen hinein und finden nicht mehr heraus. La mosca, wie die Fliege kurz gennant wird, bestimmt auch unseren Erntetermin. Wir beginnen früher, damit die Fliege nicht noch die reifen Oliven anstechen kann. Passiert das, fallen die Früchte auf den Boden. Wir sammeln nichts vom Boden auf, denn die das Öl in den Früchten nimmt schnell Gerüche an. Das ist unbedingt auch bei der Lagerung zu beachten, in einem luftigen, schattigen Raum ohne Geruchsemittenten in der Nähe. Am besten ist es natürlich die Oliven sofort nach der Ernte zu pressen. Doch dazu bräuchte es eine eigene Ölmühle, was sich nur sehr große Olivenbauern leisten können. Wieviel Öl eine Pressung erbringt, kann sehr schwanken. Zum einen hängt es von der Sorte ab: Da gibt es ölhaltige Oliven und weniger ölige. Sie sehen ganz unterschiedlich aus: Kleine rotgrüne Früchte, die fest am Stiel haften oder große, blau bereifte, die sich leicht mit dem Rechen oder mit der Hand abstreifen lassen. In der Region um den kleinen Bergort Seggiano unweit von Monticello Amiata wächst eine besondere Sorte: Olivastra di Seggiano, die für ihr besonders aromatisches Öl unter Kennern bekannt ist. Silvio schwört und schwärmt von der Sorte Frantoio, die ebenfalls ein sehr delikates Öl hat. Die Frantoio-Olive ist ein Urgestein unter den mittelitalienischen Olivensorten. Ebenfalls archaisch mutet ihr eigenwilliger Charakter an: rau, unruhig, aufgewühlt – so schmeckt ungefilterte Natur. Der Italiener würde über die Frantoio-Oliven sagen: „pizzica in gola“ zu deutsch „im Hals kratzen“. Die Bäume dieser Sorte erkennt man an ihren halb weidenartig geformten Ästen. Aus der Toskana stammend sind sie inzwischen zu einer der italienischen Hauptsorten avanciert.

 

In der Ölmühle

 

Es ist laut und riecht nach frischen Grün, ein leicht scharf-bitterer Geruch, nicht unangenehm. Typisch für Ölmühlen und für das frische Öl. Wir holen die Kisten voller Oliven aus dem Auto und schütten sie in einen große Plastikkiste, die außen vor dem Gebäude steht und an die 400 kg fast. Die Menge bunt gemischter Oliven aus unserem Hain sieht schön aus, wie sie die Kiste füllen. Dann wird gewogen: Es sind 334 Kilogramm. Ein Gabelstapler hebt die große Kiste an und kippt den Inhalt in eine großen trichterförmige Öffnung, die mit einem Förderband verbunden ist. Über dieses gelangen die Oliven in das Innere der Olivenmühle. An der ersten Station werden die Blätter weggeblasen und die Oliven gewaschen. Dann geht es in das Mahlwerk, ein schneckenförmiges Gebilde, das die Oliven samt Stein zerkleinert und immer wieder hin und her walzt. Schonend bei ca. 22 Grad Wärme werden die Früchtchen kalt gepresst. Früher wurden sie zwischen Bastmatten und Mahlsteinen zermalmt, was allerdings nicht so hygienisch war. Das Procedere geht über zwei Stunden. Wir gehen in eine nahe Bar und trinken etwas und schauen in den Nachthimmel. Als wir nachsehen, sind unsere Oliven in der Zentrifuge, wo das Öl vom wässrigen Fruchtanteil getrennt wird. Dann endlich rinnt unser Öl, erste Pressung aus dem Hahn in unsere mitgebrachte Edelstahlbehälter. Die Spannung steigt, als uns die Ölmühlenbesitzerin sagt, dass die „resa“, also der Ölgehalt in Prozent 13 beträgt. Das ist nicht schlecht für die erste Ernte so früh. Der Ölgehalt steigt, wenn später geerntet wird, aber eben auch die Gefahr der Olivenfliege. Hoch erfreut fahren wir mit 43 Litern vom Hof: grünliches Öl, das noch etwas scharf und bitter schmeckt und im Hals kratzt, aber das mit der Zeit immer milder wird. Wir fahren mit unserer kostbaren Fracht nach Hause und sehen auf der einsamen Strecke noch ein Stachelschwein am Fahrbahnrand, zwei Füchse und ein Reh. In der Villa magra testen wir das Öl pur und sind begeistert wie fruchtig-pikant und delikat es ist. Schnell rösten wir Weißbrot, reiben eine Knoblauchzehe darauf und gießen unser Öl darauf. Bruscetta mit frisch gepresstem Olivenöl – Herz, was willst Du mehr?